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Teil Drei



Freuds erbitterter Gegner war der Psychiater Julius Wagner von Jauregg, der - freilich auf ganz anderem Gebiet - ebenfalls zu den Pionieren der Medizinischen Schule zählt.
Der 1857 in Wels geborene Beamtensohn befreite die Menschheit von dem Schrecken der "progressiven Paralyse", einer Spätfolge der Syphilis, an der bedeutende Männer wie Nietzsche und Hugo Wolf elendiglich zugrunde gegangen waren.

Eigentlich wollte Wagner Jauregg Internist werden, doch da er in diesem Fach keine Ausbildungsstelle fand, wandte er sich der Psychiatrie zu.
"Irrenanstalten" waren mit Patienten überfüllt, die an der progressiven Paralyse litten, und dort ihrem schrecklichen Ende entgegen sahen.
Wagner-Jauregg versuchte mit der ihm eigenen Zähigkeit das scheinbar Unmögliche, den Betroffenen selbst zu helfen.

Er hatte schon früh fest gestellt, dass sich der Zustand von Geisteskranken bei Eintritt erhöhter Körpertemperatur in gewissen Fällen bessern konnte.
Wagner-Jauregg "impfte" daraufhin den Patienten Fieber ein - und war auf dem richtigen Weg.
Der wirkliche Erfolg stellte sich nach jahrzehntelangem, zähen Kampf ein, als ein Patient zufällig an Malaria erkrankte, und danach wie durch ein Wunder gesund wurde.

Wie er ursprünglich künstlich Fieber erzeugte, injizierte Wagner-Jauregg nach seinem Forschungserfolg im Juni 1917 das Blut eines Malariakranken.
Sein "klassischer" erster Fall betraf einen an progressiver Paralyse erkrankten Kabarettisten, der "völlig verblödet war, und seine ganzen Nummern vergessen hatt", wie der Arzt berichtete.
"Bald nach der Malaria-Kur besserte sich sein Zustand so, dass man ihn als geheilt entlassen konnte.
Er gab nun auch für die Patienten der Klinik eine Vorstellung, bei der er ein großes Repertoire gedächtnismäßig tadellos beherrschte."
In der Folge konnten debile, teilweise gelähmte Patienten soweit hergestellt werden, dass sie wieder ihre Berufe ausübten.

Zehn Jahre nach dem viel beachteten ersten Heilungserfolg wurde Julius Wagner-Jauregg der Nobelpreis "für die Entdeckung der therapeutischen Bedeutung der Malaria-Impfung bei progressiver Paralyse" verliehen.
Damit triumphierte er über seinen Gegenspieler Sigmund Freud.

Als Wagner-Jauregg von der Nobelpreisverleihung in Stockholm nach Wien zurückkehrte, wurde er von einem Gratulanten mit den Worten angesprochen: "Schade, dass nicht auch der Doktor Freud den Nobelpreis bekommt."
Worauf Wagner-Jauregg spitz erwiderte: "Vielleicht bekommt er ihn auch noch - für Literatur!"

Freuds Widersacher wollte mit dieser Bemerkung auf die bekannte Tatsache anspielen, dass der Vater der Psychoanalyse seine Schriften auf höchst literarischem Niveau verfasste.

Wagner-Jauregg stand im Mittelpunkt mehrerer Aufsehen erregender Affären.
Die erste hatte sich 1895 ereignet, als er bei der Polizeidirektion Wien beantragte, den berühmten Schauspieler Alexander Girardi in eine geschlossene Anstalt zu sperren, weil dieser "verrückt und gemeingefährlich" sei.
Und das - wie sich im Zuge eines Gerichtsverfahrens herausstellte - ohne ihn je persönlich untersucht zu haben!
Girardis Frau, die Schauspielerin Helene Odilon, hatte den Psychiater um diesen "Gefallen" gebeten, um damit die von ihr gewünschte Scheidung zu beschleunigen.

Nach dem Ersten Weltkrieg musste sich Wagner-Jauregg als Angeklagter vor dem Staatsgerichtshof rechtfertigen, weil er bei mehreren Patienten verbotene Elektroschocks getestet hatte.
Ausgerechnet Sigmund Freud entlastete seinen Rivalen mit einem Gutachten, "weil ich persönlich davon überzeugt bin, dass diese schmerzhafte Behandlung niemals durch die Initiative von Prof. Wagner-Jauregg ins Grausame gesteigert worden ist."
Worauf nun dessen Freispruch erfolgte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg warf man Wagner-Jauregg die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts, sowie die Vertretung rassenhygenischer Ideen vor.
Außerdem hatte er sich kurz vor seinem Tod im Jahre 1940 um Aufnahme in die NSDAP bemüht (die abgelehnt wurde, weil seine erste Frau Jüdin war).
Eine Historikerkommission beschloss jedoch, weder sein Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof aufzulassen, noch die Umbenennung der "Landesnervenklinik Wagner-Jauregg" in Linz zu veranlassen.

Aus einer eigenen körperlichen Schwäche heraus, wurde Adolf Lorenz gegen Ende des 19.Jahrhunderts zum Vater der modernen Orthopädie, und zum Begründer der "unblutigen Operation" angeborener Hüftleiden.
Er selbst war infolge einer Hauterkrankung an den Händen nicht in der Lage zu operieren, und überlegte daher, wie man Kindern, die mit Hüftgelenksluxation zur Welt kamen, ohne operativen Eingriff helfen könnte.
Des Rätsels Lösung war ein Gipsverband, der das Leiden der kleinen Patienten durch längere Ruhestellung heilen konnte.
Adolf Lorenz wurde für diese revolutionäre Entdeckung für den Nobelpreis vorgeschlagen - erhalten hat ihn Jahrzehnte später sein Sohn, der Verhaltensforscher Konrad Lorenz, wenn auch für ganz andere Leistungen.

"Er war ein Arzt in des Wortes wahrster Bedeutung", erinnerte sich Konrad Lorenz an seinen Vater. "und zwar deshalb, weil sein Motiv nicht die Neugierde des Forschers war, sondern das tiefe Bedürfnis, dem Menschen zu helfen.
Die Erfindung des Gipsbetts hat ihn mit besonderem Stolz erfüllt, weil damit so vieler Schmerzen gelindert werden konnte."

Die Heilkunde hatte zur Jahrhundertwende bereits gewaltige Fortschritte erzielt, aber noch gab es in Österreich keinen einzigen weiblichen Arzt.
Die erste Frau, die zum Studium der Medizin zugelassen wurde, hieß Gabriele Possanner, und hatte für ihr Doktordiplom einen unglaublichen Kampf auf sich nehmen müssen.

Das "schwache Geschlecht" hatte an den meisten europäischen Universitäten bereits Einzug gehalten, nur in Österreich und Preußen erhielten Frauen keine Studienerlaubnis.
Gabriele Possanner Baronin von Ehrenthal entstammte einer Kärntner Ärztefamilie.
Als eines von sieben Kindern wollte sie unbedingt Medizin studieren, musste aber, da sie in Wien als Frau nicht zugelassen wurde, an die Universität Zürich ausweichen, wo sie 1839 zum Dr. med. promovierte.
Nach Wien zurück gekehrt, suchte sie im Ministerium für Kultus und Unterricht um Nostrifizierung (Anerkennung ausländischer Diplome) an, wo man ihren Wunsch "mit Rücksicht auf bestehende Vorschriften" ablehnte.
und das, obwohl in Österreich großer Bedarf an weiblichen Ärzten - vor allem an Schulärzten für Mädchen - herrschte.

Gabriele Possanner hatte den unbändigen Wunsch, in ihrer Heimat tätig zu werden, und sandte eine Unzahl weiterer Gesuche an Universitäten, Kliniken, Ministerien und an das Abgeordnetenhaus.
Doch, obwohl Bertha von Suttner und die Hotelbesitzerin Anna Sacher als prominente Mitglieder des "Vereins zur erweiterten Frauenbildung" ihren Kampf unterstützten, wurden sämtliche Eingaben abgelehnt.
"Würden Mädchen studieren", hatte Wiens Adakademischer Senat schon 1873 gewarnt,, "müssten Docenten vieles, was sich für das ohr der Männer eignet, erst jenem der Frauen, namentlich züchtiger Jungfrauen, anpassen."
Und Unterrichtsminister Paul Gautsch von Frankenthurn hielt "die Concurenz der Frauen für eine volkswirtschaftliche Gefahr".

Am 8. Juli 1895 wandte sich Gabriele Possanner in ihrer Not an den Kaiser, den sie um "gnadenweise" Ausübung der ärztlichen Praxis ersuchte, zumal "zahlreiche Mädchen und Frauen sich scheuen, beim Beginn einer Krankheit sich einem männlichen Arzt anzuvertrauen, infolgedessen solche Leiden oft unheilbar werden".
Jetzt kam die Sache endlich in Bewegung.
Franz Joseph beauftragte den Innenminister, den Fall zu prüfen, worauf dieser eine Verordnung erließ. mit der "die Nostrifizierung ausländischer Doktordiplome auch für weibliche Ärzte geregelt" wurde.

Possanner trat an der Universität Wien innerhalb von neun Monaten zu 21 Prüfungen an, die sie mit gutem Erfolg bestand.
Am 2. April 1897 feierte sie ihre (zweite) Promotion zum Doktor der gesamten Heilkunde, wobei der Rektor der Universität die inzwischen 37-jährige Ärztin in seiner Ansprache als "mutige Vorkämpferin um die Erweiterung der Frauenrechte" würdigte.
Ihr Bild fand sich in mehreren Zeitungen, "da an der Wiener Universität zum ersten Mal eine Dame zum Doctor promovierte".

Gabriele Possanner blieb unverheiratet, und ließ sich in Wien IX., Günthergasse 2 als praktische Ärztin nieder, wo sie "täglich von 15 bis 16 Uhr" ordinierte.
1928 wurde ihr - wieder als erste Frau in Österreich - der Titel Medizinalrat verliehen.
Sie starb im März 1940 im Alter von achtzig Jahren.

Als Vater der Unfallchirurgie wird der aus Vorarlberg stammende Arzt Lorenz Böhler bezeichnet.
Für Unfallopfer gab es in Spitälern der zu Ende gehenden Monarchie noch keine Abteilungen.
Sie wurden von unerfahrenen Medizinern in den chirurgischen Stationen neben Magen- und Nierenkranken behandelt.
Nur neun Prozent der Patienten mit Oberschenkelhalsbrüchen waren damals nach ihrer Spitalsbehandlung wieder arbeitsfähig, heute sind es praktisch hundert Prozent.
Der junge Böhler war der Erste, der die falsche Behandlung von Unfallopfern bemängelte.
Seine revolutionäre tat hatte ihn freilich dabei beinahe ins Gefängnis gebracht.
Da er sich im Ersten Weltkrieg als Leiter eines Lazaretts für Leichtverwundete viel mehr für die schweren Fälle interessierte, "raubte" er wie ein Dieb die schwer verletzten Patienten eines auf einem Bahnhof abgestellten Verwundetentransports, um sie zu verarzten.
Trotz dieser nicht ganz legalen Form der "Patientenbeschaffung", bezeichnete man Böhlers Klinik bald als bahnbrechend, da seine Behandlung unzähligen Kriegsverletzten die Amputation ersparte.

Millionen Menschenleben rettete der aus Baden stammende Karl Landsteiner.
Durch seine Entdeckung der Blutgruppen (A, B, AB und 0) wurden die Grundlagen der modernen Medizin geschaffen, als ihm im Alter von 33 Jahren in seinem Labor im Anatomische-pathologischen Institut der Universität Wien bewusst wurde, dass Blut nicht gleich Blut ist.
Ein Großteil der Patienten war bis dahin mit dem "ausgetauschten Blut" auf rätselhafte Weise verstorben, jetzt erst konnten lebensrettende Bluttransfusionen durchgeführt werden.
Ohne Landsteiner wären Herzoperationen und andere Eingriffe mit hohem Blutverlust ebenso undenkbar, wie die Behandlung bösartiger Tumore und die Rettung vieler Unfallopfer.

Trotz dieser überragenden Leistung blieb Landsteiner hierzulande weitgehend unbeachtet.
Erst 52 Jahre alt, schickte man ihn 1920 in Frühpension, worauf er einer Berufung an das New Yorker Rockefeller-Institut nachkam.
Nun erst wurde die Welt auf seine Entdeckung der Blutgruppen aufmerksam.
Bereits als amerikanischer Staatsbürger erhielt er 1930 den Nobelpreis für seine großteils in Österreich erbrachten Leistungen.

Im hohen Alter gelang Landsteiner dann noch die Entdeckung des Rhesusfaktors, wodurch die immer noch hohe Säuglingssterblichkeit erheblich gesenkt werden konnte.

Landsteiner war längst ein weltberühmter Mann. als es 1938 zum Aus für die Wiener Medizinische Schule kam, da einige der besten Ärzte vor den Nationalsozialisten flüchten mussten.
Unter ihnen Sigmund Freud und der berühmte Ohrenarzt Professor Heinrich Neumann, von dem es hieß, dass er "das Ohr der Könige" hatte.
Tatsächlich war Englands König Edward VIII. während seiner kurzen Regentschaft im Jahr 1936 eigens nach Wien angereist, um bei Neumann Heilung von einer Komplizierten Innenohr-Erkrankung zu finden.

In diesem Fall hat übrigens nicht der Arzt das leben des Patienten gerettet, sondern umgekehrt.
Als Neumann zwei Jahre später von der Gestapo verhaftet wurde, gelang es Edward - bereits als Herzog von Windsor und durch sein Nahverhältnis zu Hitler - die Freilassung des Arztes zu erwirken.
Neumann konnte nach New York emigrieren, wo er eineinhalb Jahre nach dem "Anschluss" starb.

ENDE



Quelle: Auszug aus dem Buch "Wie die Zeit vergeht"von Georg Markus 2009

Kommentare

  1. Liebe Ilse!
    Es war wahnsinnig spannend zu lesen.
    Georg Markus gehört zu meinen Lieblingsschriftstellern der heutigen Zeit. Wenn mir Bücher von ihm in die Hände fallen, kann ich nicht mehr zu lesen aufhören.
    Lieben Gruß
    Poldi

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